Erfinde deine eigene Sprache

Von Tolkiens Elbensprachen, über Marc Okrands Klingonisch, bis hin zu David J. Petersons Dothraki – nichts überzeugt eine*n Fantasyleser*in oder -zuschauer*in mehr davon, dass man es mit einer völlig neuen Welt zu tun hat, als wenn die Charaktere im Buch oder Film plötzlich anfangen, in einer komplett anderen Sprache zu sprechen. Es gibt einem das Gefühl von Tiefe und Autentizität, von einer eigenständigen Kultur mit eigenen Gesetzen, Riten und Gottheiten.

Was ist eigentlich Conlanging?

Das Wort Conlang steht für „constructed languages“, also Sprachen, die im Gegensatz zu natürlichen Sprachen wie Deutsch, Chinesisch, Zulu oder Aramäisch nicht von einer Gruppe von Menschen über Jahrhunderte hinweg entwickelt und herausgebildet wurden, sondern i.d.R. von einer einzigen Person innerhalb weniger Monate oder Jahre.

Warum sich Conlanging unterscheidet vom Ausdenken kompliziert aussehender Namen

Ich gebe zu, ich erfinde auch nicht für jedes Buch/Projekt eine komplett neue Sprache. Das ist einfach viel zu aufwändig. Es ist oft einfacher, eine für mich schönklingende, zum Charakter passende Lautabfolge zu kreieren – nicht zuletzt auch deswegen, weil für uns die ursprüngliche Bedeutung von Namen oft auch gar nicht mehr nachvollziehbar ist (wer weiß ohne zu googlen, was der Namen Richeza bedeutet? Oder welche Bedeutung sich hinter dem Ortsnamen Angelmodde verbirgt?).

Wenn in meiner Welt neben der Sprache, auf der ich schreibe, keine weitere Sprache gesprochen wird, mache ich mir auch wenig Gedanken über die Bedeutungen der Personennamen (es sei denn, es wird an anderer Stelle relevant, z.B. im Rahmen einer Prophezeiung: „Die, deren Name ‚die Unsterbliche‘ bedeutet, wird uns alle erlösen!“ – oder so ähnlich).

Trotzdem gibt es für mich beim Namenerfinden eine wichtige Daumenregel: Nämlich, dass sie alle den selben lautlichen Regeln folgen (ausgenommen Namen von Personen, die aus einem anderen Land kommen). Wenn beispielsweise der Laut f mit der Buchstabenkombination bh dargestellt wird, dann habe ich in der Regel keine Namen wie Finn oder Fiona in meiner Welt, sondern nur Bhinn und Bhiona.

Wenn ich Diakritika, also Sonderzeichen auf den Buchstaben, verwende, dann haben sie ebenfalls immer eine Bedeutung. Sei es, um Betonung zu markieren, Tonhöhen oder eine lautliche Veränderung zu kennzeichnen. Denken wir beispielsweise an die Tilde auf dem n im Spanischen, die eine Art nj-Laut markiert. Oder das Hatschek auf polnischen und tschechischen s, was einen sch-Laut kennzeichnet. Auch die Akzentzuweisungen im Französischen sind Beispiele für solche Diakritika. Selbst wenn wir heute nicht mehr genau wissen, warum dieses Diakritikum an einer Stelle verwendet wird, hatte es zu einem früheren Zeitpunkt mal einen Zweck. Sonst wäre es nie eingesetzt worden.

Eine Kunstsprache ist eben doch mehr als das bloße Zusammenreihen von möglichst undeutschen Buchstaben und Sonderzeichen.

Wie man eine eigene Sprache erfindet

Man muss keine komplette Grammatik der eigenen Kunstsprache im Regal stehen haben, um ein*e Conlanger*in zu sein. Wenn wir ein Grundverständnis der Kultur oder der Kulturen unserer Welt haben, können wir schon eine ganze Menge daraus machen. Nehmen wir zum Beispiel an, ich wollte einer Stadt, in der seit Jahrhunderten ein Volk pazifistischer Zwerge lebt, einen Namen geben. Dass sich dieser anders anhören wird als der einer Siedlung voller Magier*innen aus allen Kulturen, liegt auf der Hand.

Ich nenne nun meine Zwergenstadt Kuzkar, weil das für meine tolkiengeprägten Ohren und Augen am ehesten nach etwas Zwergischem klingt und aussieht, und mein Zaubererdorf Ashmut, ohne jegliche Vorlage, einfach weil mir der Klang gefällt.

Ich könnte jetzt zum Beispiel sagen, dass die Zwerge ihre Stadt so etwas wie „Zwergenstadt“ genannt haben. Nicht besonders kreativ, aber das muss es ja auch nicht sein. Ich lege also fest, dass kuz „Zwerg“ bedeutet, und kar „Stadt, Siedlung, Wohnraum“. Damit habe ich schon zwei Wörter, mit denen ich das ganze Zwergenreich bestücken kann. Die Siedlung der Magier*innen könnte somit bei den Zwergen Radukar heißen, ein Dorf mit Menschen vielleicht Mezkar, eines mit Elben Dorkar. Wiederum ein von Zwergen angefertigtes Schwert könnte kuzbis heißen, wobei bis „Schwert“ bedeutet. Jetzt haben meine Zwerge nicht nur die notwendigen Wörter für den Begriff „Zwergenschwert“, sondern auch für „Zaubererschwert“, „Menschenschwert“ und „Elbenschwert“ obendrein. Das ganze lässt sich noch erweitern: Habe ich ein Zwergenschwert, das aus der Zwergenstadt kommt, nenne ich es kuzbarkuzbis, also „Zwergenstadtzwergenschwert“. Eigentlich gar nicht so schwer, oder?

Bei den Magier*innen gehe ich das ganze nun etwas anders an. Statt wie bei den Zwergen zu sagen, dass ash „Magier*in“ und mut „Stadt, Siedlung, Wohnraum“ bedeutet, lege ich fest, dass meine Magier*innen den Dingen doch deutlich kreativere Namen geben als die Zwerge. Vor allem, da es sich hierbei um einen Ort handelt, in dem magiewirkende Personen und Kreaturen aus allen Ecken der Welt zusammen wohnen. In meiner Geschichte wurde Ashmut vielleicht auf den Ruinen einer alten Stadt erbaut, die als Zufluchtsstätte für Verbannte und Verfolgte diente und erhielt so den Namen Ashmut „Hoffnung“. Damit habe ich ein schönes Wort, das mir aber bei der Benennung anderer Orte nicht viel bringt. Zudem es wahrscheinlich noch ein paar hundert Jahre alt ist, also stark veraltet und vermutlich nicht mehr geläufig im alltäglichen Gebrauch … hier entpuppt sich das Ganze dann doch als komplizierter als erwartet.

Also muss ich weiter erfinden: Zwerge sind in der Sprache der Magier*innen vielleicht als „die Friedlichen/die Freundlichen“ bekannt und werden Yeshoram genannt. Ich lege fest, dass yeshor „Frieden/Freundlichkeit“ bedeutet, und –am irgendwas mit diesem Wort macht, dass es zu „die Friedlichen“ wird. Die Magier*innen bezeichnen sich selbst als „die Verbannten“, weil die ersten Magier*innen, die die Geschichtsschreibung verzeichnet, aufgrund ihrer Magie von ihren Familien verstoßen wurden, und Magienutzer*innen bis heute noch nicht überall akzeptiert werden. Das Wort für „Verbannung“ ist jetzt alashur und kombiniert mit dem –am ergibt das alashuram „Die Verbannten“. Dieses -am kann ich jetzt an alles hinten dran hängen, was ein Volk, eine Berufsgruppe, einen sozialen Status bezeichnet. Menschen heißen dann zum Beispiel tehalam „Die Fühlenden“ (welche tiefere Bedeutung dahinter stehen könnte, könnt ihr ja vielleicht überlegen), und Elben heißen cayratam „Die Langlebigen“.

Wenn jetzt also einer meiner Charaktere, eine magische Person, einem anderen Charakter, einem Zwerg, hinter hervorgehaltener Hand zuflüstert: „Das ist Meren, er ist einer der Cayratam„, antwortet der Zwerg zunächst verwirrt: „Ein was?“, woraufhin die magische Person irritiert sagt: „Na, einer vom langlebigen Volk“. Da versteht der Zwerg und erwidert nickend: „Achso, ein Dorkar.

Ohne Linguistikkenntnisse geht es nicht

Das sind natürlich nur Beispiele für Sprachgrundlagen. Ich kann jetzt zwar ein, zwei Wörter bilden, um meinen Orten und Artefakten Namen zu geben, aber noch lange keine Sätze bilden.

Manchmal wäre das aber dann doch ganz cool und wir hätten auch gerne das ein oder andere Gedicht in der Sprache, oder wollen unsere Charaktere zumindest einen Dialog sprechen lassen.

Aus eigener Erfahrung weiß ich: Man braucht dafür gut fundierte Kenntnisse in Phonologie, Morphologie, Syntax und Sprachentypologie, sowie Geduld, Durchhaltevermögen und eine große Portion Kreativität. Ein Linguistikstudium oder zumindest etwas Vergleichbares legt da natürlich den besten Grundstein, was die Sprachkenntnisse betrifft, aber das soll niemanden mit einer Vorliebe für (Kunst-) Sprachen davon abhalten.


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Zu guter Letzt noch eine kleine, von mir erstellte Checkliste (basierend auf den Folien zu David Adgers Seminar „Constructing a Language“), wie ihr eure Grammatik aufbauen könnt und was eure Sprache unbedingt braucht, um grundlegend zu funktionieren.