Im Linguistikstudium lernt man schon tolle Dinge.
Ich hatte wohl gerade mein erstes oder zweites Semester abgeschlossen, als ich einer Freundin meine jüngst erworbenen Erkenntnisse in meiner üblichen, indirekten Art unter die Nase rieb.
„Wusstest du eigentlich, dass im Deutschen kein Wort mit einem Vokal beginnen kann?“, fragte ich also in diesem Tonfall, den man gerne verwendet, wenn man etwas weiß, dass der andere nicht weiß. „Oder dass das Verb eigentlich am Ende des Satzes steht?“
Ihre Antwort setzte sich zusammen aus einem offenmündigen, wenig intelligenten Gesichtsausdruck und einer sprachlich komplexen Äußerung: „Hä?“
Woraufhin ich mich natürlich verpflichtet fühlte, ihr mein kürzlich erworbenes linguistische Wissen sofort mitzuteilen. In Länge und Breite. Ich tendiere bekanntermaßen dazu, ein wenig auszuarten, wenn ich anderen Leuten Dinge erklären kann und es um meine Steckenpferdchen Sprache und Linguistik geht, also war die Chance, dass ich mich in diesem Fall einmal zurückhalten sollte, erwartungsgemäß nicht vorhanden.
Obwohl ich zu meiner Verteidigung erwähnen möchte, dass sie es wirklich interessant fand, was ich ihr erzählte. So interessant nämlich, dass sie vier Stunden und sieben PowerPoint-Präsentationen später den Gedanken äußerte, ob ich nicht besser in Zukunft coole sprachliche Besonderheiten aufschreibe, anstatt sie weiterhin zuzutexten mit Dingen, die sie eh nicht verstehe …
Der Vorschlag gefiel mir tatsächlich so gut, dass ich auch nur drei Jahre brauchte, um ihn umzusetzen und einen Beitrag zu veröffentlichen, in dem ich ein wenig auf die Super Coolen Dinge™ eingehe, die ich in meinem Studium so über unsere geschätzte deutsche Sprache gelernt habe.
Daher ohne weitere Vorreden:
Vier Fun-Facts der deutschen Sprache, die man nicht in der Schule lernt.
Glottisverschluss oder: Wir mögen keine Vokale
Es ist nun mal so: Egal, wie sehr wir uns bemühen – wir Deutschen können keine Wörter aussprechen, die mit einem Vokal anfangen. Das heißt, aussprechen können wir sie schon, aber sie fangen eben nicht mit einem Vokal an …
In einem meiner vorherigen Beiträge zu Lautinventaren habe ich den Glottisverschluss erwähnt. Diesen kleinen Knacklaut, der sich immer wieder in unsere schöne deutsche Sprache einschleicht. Wenn man das Wort „abarbeiten“ ausspricht, zum Beispiel. Bemerkt ihr die kurze Pause, den winzigen Stopp vor dem zweiten „a“? Merkt ihr auch, wie dieser gleiche Knacklaut sogar vor dem ersten „a“ auftaucht? Machen wir den Test nochmal mit folgenden Wörtern: „Ununterbrochen“ und „inakzeptabel“. Egal wie oft ihr sie sagt, dieser kleine Knacklaut taucht immer am Anfang auf.
Was ist das für ein Laut, den wir da machen? Diejenigen von euch, die meinen Beitrag zum „exotischen“ Lautinventar gelesen haben, werden ihn wiedererkennen. Es handelt sich dabei um den Glottisverschluss, einen Plosiv (Verschlusslaut), der mit den Stimmlippen, der Glottis, gebildet wird (daher der Name). Und irgendwie schleicht sich der immer dann ein, wenn eine Silbe oder ein Wort mit einem Vokal beginnt.
Das ist auch mit einer der Hauptgründe, weshalb wir im Englischen diesen typisch deutschen Akzent gar nicht bis selten loswerden: Die Engländer haben nämlich (außer am Satzanfang und in sehr seltenen Fällen) diesen Glottisverschluss gar nicht. Und wenn wir dann versuchen, englische Wörter auszusprechen, passiert es oft, dass wir diesen Glottisverschluss ohne unser Wissen einbauen. Und dadurch dann Deutsch klingen.
Das funktioniert aber auch andersherum: Hört man englische Schauspieler in Filmen einen deutschen Akzent faken, klingt es selten authentisch. Eben weil ihnen dieser Glottisverschluss fehlt.
Auslautverhärtung oder: Deutsch ist eine harte Sprache
Wer hat schon einmal gehört (oder sogar selber gesagt), dass Deutsch eine harte Sprache sei? So ziemlich jeder, oder?
Einen der Gründe haben wir oben schon gelesen: Die Verwendung eines Glottisverschlusses bei vokalinitialen Wörtern und Silben. Das verhindert halt schon ein wenig diesen „Flow“, den z.B. das Englische oder das Französische hat. Es macht die Sprache irgendwie ein bisschen abgehackter.
Aber kommen wir zu Hauptgrund Numero Zwei: Wir Deutschen sind zum Verrecken nicht in der Lage, am Ende eines Worts einen stimmhaften Laut auszusprechen.
Wir können es einfach nicht.
Nehmen wir das klassische Beispiel: „Rat“ vs. „Rad“. Wenn wir beide Wörter aussprechen, klingen sie identisch, oder? Beide Male sagen wir „Rat“.
Okay, gut. Wir können uns bemühen, sie besonders betont auszusprechen und uns zu konzentrieren, am Ende wirklich „d“ zu sagen. Meinetwegen. Aber sobald wir das Ganze in einen Satz einbinden, was passiert dann? Jap, Stimmhaftigkeit geht flöten. Linguistisch fachbetitelt nennt sich das dann „Auslautverhärtung“.
Der Satz „Ich fuhr mit dem Rad zu ihm, um mir Rat zu holen“ klingt dann so: „Ich fuhr mit dem RaT zu ihm, um mir RaT zu holen“.
Diese Auslautverhärtung ist übrigens Schuld daran, dass wir nicht immer eindeutig sagen können, ob ein Wort auf einen stimmhaften oder stimmlosen Laut endet. Ich kann mich noch an unzählige Male erinnern, wo ich die Pluralformen zu einzelnen Wörtern gebildet habe, um herauszufinden, ob es mit „d“ oder „t“ geschrieben wurde …
Übrigens ist die Auslautverhärtung auch mit ein Grund, weshalb wir uns beim Englischsprechen so schnell als Deutsche outen. Die Engländer (und Amis) können nämlich stimmhafte Konsonanten am Ende aussprechen …
Verb-Zweit oder: Es gibt nur Nebensätze
Normalerweise werde ich ziemlich dumm angeschaut, wenn ich jemandem verkünde, dass die Wortstellung im Deutschen SOV ist: Subjekt, Objekt, Verb.
Ja, ungefähr genauso hab ich geguckt, als mir das damals in meinem ersten Semester eröffnet wurde.
„Aber wir sagen doch ‚John küsst Mary‘, nicht ‚John Mary küsst‘ …“, wenden die meisten dann direkt ein, mit einem leicht schiefen Grinsen im Gesicht, als erwarteten sie, dass ich jeden Moment laut loslache und ihnen erkläre, ich hätte mir nur einen Scherz erlaubt.
Ich bin Linguistin.
„Scherz“ ist für mich ein Fremdwort.
Ja, Deutsch wird in der Linguistik tatsächlich als SOV-Sprache klassifiziert. Im Grunde kann man sagen, dass der deutsche Satz eine zugrundelegende Nebensatzwortstellung aufweist. Also nicht „John küsst Mary, sondern „dass John Mary küsst“.
Aber wie kommt man darauf?
Ich werde euch nicht mit den sprachwissenschaftlichen Details quälen. Bilden wir stattdessen einen Satz mit dem Verb „ausleihen“. In einem Nebensatz haben wir folgende Struktur: „dass Mary John das Buch ausleiht“. Bilden wir einen Hauptsatz, entsteht „Mary leiht John das Buch aus“. Das Verb wandert an die zweite Position des Satzes, hinter das Subjekt „Mary“. Das ganze Verb? Nein, eine kleine Partikel leistet Widerstand und hält sich konsequent am Satzende auf.
Ich spreche natürlich von dem „aus-“ in „ausleihen“. Nur das eigentliche Verb „leihen“ wird nach vorne bewegt:
dass Mary John das Buch ausleiht.
Mary leiht John ein Buch aus.
In der Linguistik wird diese Bewegung an die zweite Stelle im Satz als Verb-Zweit bezeichnet. Und das es sich wirklich immer um die zweite Stelle im Satz handelt und nicht die Position nach dem Subjekt, zeigt folgendes Beispiel:
„Mary küsste John.“
„Gestern küsste Mary John.“
„Überschwänglich küsste gestern Mary John.“ oder „Überschwänglich küsste Mary gestern John.“
Vergleichen wir das mit Englisch (einer echten Subjekt-Verb-Objekt-Sprache):
„Mary kissed John.“
„Yesterday, Mary kissed John.“
Nicht: „Yesterday kissed Mary John.“
Ihr seht, das Verb bleibt stur hinter dem Subjekt (und vor dem Objekt) stehen.
(Warum ist aber „Vor zwei Tagen küsste Mary John“ kein Gegenbeispiel? Das Verb steht doch an vierter Stelle? Ganz einfach zu erklären: „Vor zwei Tagen“ sind zwar drei Wörter, aber ein einziges Satzglied. Die Wörter innerhalb eines Satzgliedes können nicht auseinandergezogen und an unterschiedliche Positionen im Satz bewegt werden und gelten damit als eine Einheit.)
Also: Wenn euch demnächst Lehrer oder Kollegen versuchen weißzumachen, dass Deutsch eine SVO-Sprache ist, dann könnt ihr darauf mit einem milden Lächeln antworten. Denn jetzt wisst ihr es ja besser.
Maskulin, Feminin, Neutrum oder: Da gibt’s ne Regel?
Nicht nur Leute, die Deutsch als Fremdsprache lernen, haben ihre Probleme damit, Nomen den richtigen Artikel zuzuordnen. Auch als Muttersprachler hänge ich manchmal davor („Ist es jetzt die Nutella oder das Nutella?“ – „Mensch, Eleonore, gib mir einfach das verdammte Glas!“).
Aber wer damals noch in der Schule verzweifelte, weil er sich partout nicht merken konnte, ob es nun der, die oder das Kulifumdenteich war, der muss nicht länger verzagen. Denn es gibt Regeln dazu!
Jap. Hab ich auch gestaunt.
Aber tatsächlich liegen dieser vollkommen zufällig, ausgewürfelt erscheinenden Genuszuordnung in der deutschen Sprache tatsächlich Regeln zugrunde.
Natürlich mit einer Unzahl an Ausnahmen. Wie auch sonst.
Die Besonderheit der deutschen Genuszuweisung ist, dass sie nicht vom natürlichen Geschlecht eines Lebewesens abhängt (Ausnahmen bestätigen logischerweise auch hier die Regel …), sondern phonologisch motiviert ist, auf gut deutsch: Es hängt davon ab, auf welche Vokale bzw. Konsonanten ein Wort endet.
Beginnen wir mit den Maskulina. Maskulina bezeichnen in der Regel Personen oder auch Lebewesen und enden auf einen oder zwei Konsonanten. Die bei Wikipedia gelisteten maskulinen Endungen sind -är, -and, -ant, -ast, -at, -er, -et, -eur, -ier, -iker, -ikus, -ist, -ling, -ologe, -or*, auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin, ob statt -and nicht einfach nur -nd richtiger wäre. Schließlich haben wir ja noch „der Hund“ mit „-und“. Gegenbeispiel wäre „Hand“, die endet zwar auf „-and“, ist aber weiblich. Wie war das noch mal mit den Ausnahmen …
Feminina hingegen enden häufig auf ein unbetontes „e“, wie in „Suppe“ (Ausnahme: Personenbezeichnungen, wie „der Brite“ …), aber auch -heit und -keit, -schaft und -ung sind typischerweise feminine Endungen.
Neutra können auf so ziemlich alles enden, aber eindeutig neutrische Endungen sind die Diminutiva (Verkleinerungsformen) –chen und -lein. Auch Wörter, die mit „Ge-“ beginnen und einen Sammelbegriff darstellen, wie „Gebein“ oder „Gebäude“ u.ä. sind meines Wissens alles Neutra.
Es ist ein wenig wie Lateinvokabeln pauken damals. Man nimmt sich die Liste, lernt die Endungen (und die Ausnahmen) und dann ist man eigentlich ganz gut vorbereitet …
Gut, ich gebe zu, das sind mehr Ausnahmen als Regel, aber hey – ich hab mir das nicht überlegt …
Jedenfalls können wir zumindest jetzt die uralte Frage klären:
„Warum heißt es eigentlich ‚die Sonne‘ und ‚der Mond‘?“
Und nicht „der Sonne“ und „die Mond“, wie in sämtlichen (zmd. mir bekannten) romanischen Sprachen? Ist doch eigentlich viel logischer.
Die Antwort ist ziemlich unspektakulär: „Sonne“ endet auf einem unbetonten „-e“ und ist daher feminin, während „Mond“ auf „-(o)nd“ auslautet und damit maskulin ist.
Und da sage mir noch einer, Deutsch sei eine schwere Sprache …
*Quelle: Wikipedia (de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Grammatik#Genus_der_Substantive) (Stand: 13.05.2018)