Charaktere sind wie Katzen (Author’s Nightmare)

Ich teile meinen Lebensraum mit zwei Katzen.

Und wenn man mit Katzen zusammenwohnt, dann fallen einem einige Eigenheiten auf.

Ich schreibe Bücher und arbeite mit Charakteren.

Und wenn man mit Charakteren arbeitet, dann fallen einem einige Eigenheiten auf.

Wer besitzt eigentlich wen?

„Ich besitze zwei Katzen“ ist ein grammatisch korrekter Satz, und inhaltlich auch eigentlich gar nicht so falsch. Jedenfalls irgendwie. Denn Katzenbesitzer weltweit stellen sich nicht selten die Frage: „Wer besitzt hier eigentlich wen?“. Als Katzenbesitzer bist du doch eigentlich mehr oder weniger der Sklave deines Haustiers, oder? Es will hier mal Aufmerksamkeit, da mal in Ruhe gelassen werden; meckert dich an, dass der Napf nur zu Hälfte gefüllt ist und das Futter nicht schmeckt; kann sich nicht entscheiden, ob es rein oder raus will; weckt dich mitten in der Nacht aus unerfindlichen Gründen. Aber du behältst es. Es ist dein Baby, dein kleiner, durchgeknallter, felliger Schatz. Und irgendwie ist man als Katzenbesitzer doch auch ein wenig durchgeknallt, oder? Nicht umsonst gibt es das Image von der „Crazy Cat Lady“, schließlich sind viele exzentrische Leute auch oft Katzenbesitzer.

„Ich besitze zwei Charaktere“ ist ein Satz, den man wahrscheinlich (trotz Grammatikalität) nicht hören wird. Nicht nur, weil es eher ungewöhnlich ist, Ideen als „Besitz“ zu bezeichnen, sondern vielleicht auch, weil Autoren irgendwie unterbewusst klar ist, dass sie eigentlich gar nicht so sehr in Kontrolle der Geschichte sind, wie sie es gerne hätten. Auch als Autor bist du in gewisser Hinsicht Sklave deiner Charaktere, oder? Hier will einer sich noch mehr in den Vordergrund rücken und die Handlung dominieren, da fällt einer komplett in den Hintergrund und gibt auf den nächsten zehn Seiten keinen Piep mehr von sich und du musst ihn fast zwingen, einen der Sätze zu übernehmen. Einer meckert, weil er die Handlung nicht mag. Einer weiß selbst gar nicht, was er macht oder machen soll und du versuchst dann verzweifelt beim Schreiben herauszufinden, was eigentlich sein Plan ist und seine Motivation. Und sie alle wecken dich Nachts auf, weil du ausgerechnet jetzt eine Idee hattest, wie die Handlung weitergehen könnte. Aber so sehr du auch jammerst, du liebst deine Charaktere, deine Kinder. Und irgendwie ist es auch nicht verwunderlich, dass Autoren teilweise als verrückt bezeichnet werden. Schließlich rennen wir jeden Tag mit unzähligen Welten und Stimmen im Kopf herum, die uns zu sagen versuchen, was wir machen sollen.

Also wer besitzt nun eigentlich wen?

Was wollen sie eigentlich?

Katzenbesitzer kennen das: Die Katze sitzt vor dir und maunzt dich an. Einmal. Zweimal. Dreimal, diesmal energischer. Und du hast keine Ahnung, was sie jetzt wieder will. Also fragst du: „Was ist denn los?“ – „Miauu!“ – „Ja, was denn?“ – „Miauuuu!“ – „Ja, was denn nun?“ – „MAUU!!“ – „Ja, Mensch, wenn du mir nicht sagst, was du willst, dann kann ich dir auch nicht helfen …“. So oder ähnlich klingt das dann. Und du bist immer noch nicht schlauer, was das Tier eigentlich will. Vielleicht musst du das nächste Mal aufstehen, dann zeigt es dir vielleicht, was es wollte und führt dich dort hin?

Autoren kennen das auch: Der Charakter auf dem Papier oder dem Worddokument hat etwas zum Hauptcharakter gesagt, aus dem du nicht schlau wirst. Etwas, das dir sagt, dass er mehr weiß als du. Dass er einen eigenen Plan verfolgt, von dem du nichts weißt. Also fragst du: „Was meinst du damit?“ – Stille – „Nein, ernsthaft. Ich hab keine Ahnung, was du willst und was du vorhast!“ – Stille – „Verdammt, Kyle, ich muss doch wissen, was los ist, weil ich diese verdammte Story doch schreibe!“ So oder ähnlich klingt es dann. Und du bist immer noch nicht schlauer, was dein Charakter jetzt eigentlich will und vorhat. Aber manchmal hilft es, einfach frei nach Schnauze weiterzuschreiben, denn dann passiert es durchaus, dass der Charakter von alleine zeigt, was er eigentlich mit seiner Aussage meinte.

Das, was du ihnen vorsetzt, ist das Falsche

Deine Katze hat Hunger. Also gibst du ihr was zu fressen. Du schüttest ihr das Lieblingstrockenfutter in den Napf und stellst ihn ihr hin. Sie schnuppert dran. Und lässt es dann links liegen. Im schlimmsten Fall maunzt sie dich noch empört an, wie du es wagen kannst, sie so zu misshandeln. Also kommt ein neues Schälchen, diesmal mit Nassfutter. Ist auch nicht das Richtige. Jetzt schmollt sie. Na dann verhungert sie halt, wenn sie nicht will, denkst du genervt.

Ein Neben- oder sogar Hauptcharakter hat noch keinen Loveinterest. Also zeigst du ihm oder ihr einen Charakter des anderen Geschlechts, der möglicherweise in Frage käme. Dein Charakter zeigt kein Interesse. Auch andere mögliche Kandidaten werden links liegen gelassen. Also werden andere, gleichgeschlechtliche Charaktere vorgesetzt. Sind auch nicht das Richtige. Du probierst es ohne. Nicht jeder will romantische oder körperliche Beziehungen. Jetzt schmollt dein Charakter. Frustriert ringst du die Arme. Dann halt nicht und wir überlassen es den Fans, zufrieden?, denkst du genervt.

Du kannst ihnen nichts verbieten

Katzen machen sowieso entweder hinter deinem Rücken oder ganz offen nur das, was sie wollen. Dabei wissen sie ganz genau, dass das, was sie tun, nicht erlaubt ist und du es ihnen mehrfach verboten hast. Aber es interessiert sie nicht. Sie sind ohnehin schneller.

Charaktere machen auch nur entweder hinter den Kulissen oder sogar direkt in den ausformulieren Szenen das, was sie wollen. Wahrscheinlich wissen sie ganz genau, was du eigentlich mit der Story vorhattest, und dass das, was sie gerade tun, nicht das ist, was du geplant hattest. Es interessiert sie nicht. Sie wissen doch eh am besten, was für sie „in character“ ist, und was nicht.

Erziehung ist ganz einfach

Als Katzenbesitzer machst du nach nur zwei Wochen das, was sie wollen.

Als Autor machst du sowieso nur das, was sie zulassen.


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2 Gedanken zu “Charaktere sind wie Katzen (Author’s Nightmare)

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